Therapien des metastasierten Prostatakarzinoms

Auch wenn durch die vermehrte Wahrnehmung der Früherkennungsprogramme die überwiegende Mehrzahl der neu diagnostizierten Prostatakarzinome in Deutschland in einem lokal begrenzten oder lokoregionär fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert werden, weisen 10-15% der Patienten bei Erstdiagnose bereits Fernmetastasen auf.

Bei den meisten Patienten wird die Diagnose der Metastasierung im Rahmen der Umfelddiagnostik mittels Computertomografie und Skelettszintigrafie des PCA, die aufgrund deutlich erhöhter PSA-Werte eingeleitet wird. Selten stehen anhaltende Knochenschmerzen, pathologische Frakturen oder gar neurologische Symptome bei Beteiligung des Rückenmarkkanales im Vordergrund.

Die adäquate Therapie des metastasierten PCA muss verschiedene Behandlungsaspekte im Sinne einer multimodalen Therapie berücksichtigen:

  • Lokalisation der Metastasen: Knochen, Leber, Lunge
  • Ausdehnung der Metastasen: Anzahl, Beteiligung der knöchernen Wirbelsäule bzw. skeletaler Anteile außerhalb der Wirbelsäule
  • Symptome
  • Ausdehnung und Biologie des Primärtumors
  • Begleiterkrankungen und Allgemeinzustand des Patienten

Medikamentöse Tumortherapie

Metastasen des Prostatakarzinoms sind prinzipiell hormonabhängig und proliferieren zunächst nur in der Gegenwart des männlichen Geschlechtshormons Testosteron. Metastasen können somit durch eine Hormonentzugstherapie oder eine Blockade der Androgenrezeptoren (Bindungsstellen des Testosterons an den Zellen) in ihrem Wachstum kontrolliert werden.

Zur Hormontherapie stehen Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen:

Blockade der Androgenrezeptoren

Steroidale Antiandrogene wie Cyproteronacetat blockieren nicht nur den Androgenrezeptor an der Tumorzelle, sondern bedingen gleichzeitig eine verminderte Ausschüttung des Hormons LH, welches die Testosteronbildung im Hoden stimuliert. Die Absenkung des LH bedingt einen Abfall der Serumkonzentrationen von Testosteron, so dass prinzipiell ähnliche Nebenwirkungen auftreten können wie unter der Testosteronentzugstherapie (siehe unten).

Nichtsteroidale Antiandrogene wie Bicalutamid, Flutamid oder Nilutamid blockieren den Androgenrezeptor und verhindern dadurch das Eintreten von Testosteron in die Tumorzellen während die Serumkonzentrationen für Testosteron gleich bleiben.

Testosteronentzugstherapie

Die Testosteronentzugstherapie stellt die Basis der Hormontherapie des Prostatakarzinoms dar. Bereits in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte die hohe Effektivität der Therapie durch Charles Huggins beschrieben werden, der für dieses Therapiekonzept mit dem Nobelpreis belohnt wurde. Bei der Testosteronentzugstherapie werden hormonell wirksame Medikamente mit einer 3 bis 6-monatigen Depotwirkung in das Unterhautfettgewebe des Patienten gespritzt. Das injizierte Hormon LHRH entspricht dabei in seiner Wirkung dem vom Körper selbst im Hypothalamus produzierten Gonadotropin – Releasing – Hormon, das an der Hirnanhangsdrüse zu einer vermehrten Freisetzung der beiden Hormone LH und FSH führt. LH seinerseits führt im Hoden zu einer vermehrten Freisetzung von Testosteron im Hoden. Bei kontinuierlicher Gabe von LHRH – Analoga wird die Testosteronproduktion im Hoden jedoch langsam herunterreguliert, so dass die Konzentration im Blut in den sogenannten Kastrationsbereich abfallen, der einem Blutwert nach beidseitiger Hodenentfernung entsprechen würde. Die abfallende Testosteronkonzentration im Blut führt dazu, dass den Tumorzellen die „Nährquelle“ entzogen wird und ein Großteil der Metastasen tatsächlich abstirbt. Ein weiterer kleiner Anteil der Tumorzellen geht in ein sogenanntes Ruhestadium und kann die Hormontherapie dauerhaft überleben. Ein weiterer kleiner Anteil der Tumorzellen ist von Beginn an refraktär auf die Hormontherapie.

Nachdem durch die Gabe der LHRH – Analoga und der anfänglich vermehrten Freisetzung von LH der Hoden zu einer überschießenden Testosteronproduktion angeregt wird, muss bei ausgedehnter Metastasierung ca. 1 Woche vor der Injektion ein Antiandrogen gegeben werden, um ein vorübergehendes Wachstum der Metastasen zu vermeiden, das je nach Lage der Metastasen zu plötzlichen Symptomen wie Schmerz, Harnverhaltung und sogar neurologischen Symptomen führen kann. Nach ca. 1-wöchiger Vortherapie kann das LHRH-Analogon gespritzt werden und die begleitende Antiandrogengabe kann nach weiteren 3 Tagen beendet werden. Ca. 4 Wochen nach Beginn der Therapie sind die Testosteronwerte in aller Regel in den Bereich unterhalb des Kastrationsniveaus von 50 ng/dl abgefallen.

Die Injektion der LHRH – Analoga wird in 3- bis 6-monatlichen Intervallen wiederholt und je nach Indikation als intermittierende oder kontinuierliche Therapie (siehe unten) fortgesetzt.

Als Alternative zu den LHRH – Analoga können sogenannte LHRH – Antagonisten eingesetzt werden, die die Wirkung des LHRH sofort und komplett blockieren, so dass kein vorübergehender Testosteronanstieg resultiert, sondern die Werte innerhalb von 24 Stunden in den Kastrationsbereich abfallen. Nachteil der LHRH – Antagonisten besteht darin, dass die Medikamente in 4-wöchentlichen Intervallen appliziert werden müssen und dass sich bei ca. 30% der Patienten erheblich lokale Reaktionen (Schwellungen, Schmerzen, Rötungen) an der Injektionsstelle ergeben können. Vorteil der LHRH-Antagonisten ist einer sehr raschen Symptomlinderung innerhalb von 1-3 Tagen aufgrund des raschen Testosteronabfalls zu sehen. 

Dauer der Hormontherapie

Prinzipiell besteht die Möglichkeit die Androgendeprivation (ADT) dauerhaft, d.h. letztendlich ein Leben lang durchzuführen, oder die ADT als intermittierende Therapie mit unterschiedlich langen Pausen durchzuführen.

In der SWOG 9346 Studie wurde diese Fragestellung untersucht. Mehr als 3000 Patienten mit einem metastasierten PCA wurden zunächst über 7 Monate mit einer Kombinationstherapie aus LHRH-Analoga und einem Antiandrogen therapiert. Sank der PSA – Wert nach der Vortherapie auf < 4.0 ng/ml ab, wurden die Patienten in die beiden Therapiearme der kontinuierlichen versus der intermittierenden ADT randomisiert. Es konnte eindrücklich gezeigt werden, dass das mittlere Gesamtüberleben unabhängig von der Metastasenlast in der Gruppe der kontinuierlichen deutlich länger war als in der intermittierenden ADT.

Abb 1: Überlebenskurven der kontinuierlichen und der intermittierenden Hormontherapie bei geringer (rechts) und hoher Metastasenlast (links)

Eine Subgruppenanalyse der Patienten zeigte jedoch auch, dass dem PSA-Nadir, dem tiefsten PSA Wert nach 7 Monaten Therapie, eine besondere Aussagekraft bezüglich des Gesamtüberlebens zukommt: fällt der PSA-Wert auf < 0.2 ng/ml bzw. < 1.0 ng/ml ab, geht dies mit einem Ansprechen der ADT über 4-6 Jahre einher. In der Gruppe der Patienten mit optimalem Ansprechen kann somit durchaus eine intermittierende Therapie diskutiert werden.

Fällt der PSA-Wert hingegen nur auf Werte > 4 ng/ml ab, so ist dies in aller Regel mit einer ungünstigen Prognose und einem kurzen Überleben assoziiert, so dass bei diesen Patienten sehr frühzeitig eine systemische Chemotherapie addiert werden sollte.

Komplikationen und Nachsorge

Wichtigste Voraussetzung für die Wirksamkeit der ADT ist die verlässliche und dauerhafte Absenkung der Serumkonzentration des Testosterons. Unter der Therapie mit LHRH – Analoga bedarf es einer ersten Kontrolle des Testosteronwertes 4-6 Wochen nach Therapiebeginn: die Serumkonzentration muss auf < 50 ng/dl abgesunken sein. Eine PSA-Wert Bestimmung empfiehlt sich nach 3 und 6 Monaten, um in Abhängigkeit des PSA-Nadirs den weiteren Therapieverlauf festlegen zu können.

Die Reduktion des Testosterons kann neben den positiven Effekten auf das Tumorwachstum zu negativen Effekten auf den Stoffwechsel, das Herz-und Kreislaufsystem, das Muskel- und Skelettsystem sowie die Gedächtnisleistung führen. Dementsprechend sind vor Einleitung der Therapie und unter Therapie entsprechende Kontrolluntersuchungen sowie prophylaktische Maßnahmen erforderlich.

Bei erheblichen kardiovaskulären Begleiterkrankungen sollte vor Therapiebeginn eine kardiologische Untersuchung veranlasst werden. Unter Therapie sind regelmäßige Kontrollen erforderlich. Da die LHRH – Antagonisten mit einer geringeren Rate an kardiovaskulärer Mortalität bei schweren Vorerkrankungen assoziiert sind, sollten diese Medikamente den LHRH-Analoga vorgezogen werden.

Bezüglich des Skelettsystems sollte vor Beginn der Therapie eine Knochendichtemessung durchgeführt werden, um eine bereits bestehende Osteopenie oder Osteoporose erkennen zu können. Bei Osteopenie ist eine Prophylaxe mit Calcium und Vitamin D Substitution erforderlich, bei manifester Osteoporose ist die zusätzliche Gabe von Denosumab (60mg) oder Zoledronsäure (4mg) zweimal jährlich indiziert. Zudem sollte eine dosierte körperliche Aktivität im Sinne von Kraft- und Ausdauersport eingeleitet werden.

Unter der ADT kann es zu Veränderungen des Stoffwechsels mit der Entwicklung eines Diabetes mellitus und/oder einer Erhöhung der Blutfette kommen. Vor Einleitung der Therapie und während der Therapie sollten die entsprechenden Laborwerte (Glukose, HbA1c, Triglyzeride, Cholesterin) gemessen und geprüft werden. Unter der Therapie ist eine ausgeglichene, am besten mediterrane Ernährung, in Kombination mit einer moderaten sportlichen Aktivität sinnvoll. 

Chemo-Hormontherapie

Die Chemotherapie mit Docetaxel galt bis vor 2 Jahren als die Domäne in der Therapie des kastrationsresistenten (also hormonunempfindlichen), metastasierten Prostatakarzinoms. In 2 großen prospektiven klinischen Studien konnte jedoch der erhebliche Nutzen einer kombinierten Chemo-Hormontherapie gegenüber einer alleinigen Hormontherapie dargelegt werden.

In der CHARTEED – Studie wurde über 1000 Patienten mit einem metastasierten entweder einer Therapie mit 6 Zyklen Docetaxel in Kombination mit einer dauerhaften LHRH – Analogatherapie oder der alleinigen dauerhaften LHRH – Therapie unterzogen. Für die Kombinationstherapie zeigte sich ein signifikanter Vorteil des medianen Gesamtüberlebens von 57.6 versus 44.0 Monaten (p < 0.001). Eine genauere Analyse der Ergebnisse zeigte, dass insbesondere Patienten mit einer hohen Metastasenlast von der Kombinationstherapie bei einem medianen Gesamtüberleben von 49.2 versus 32.2 Monaten profitierten, während sich kein signifikanter Vorteil für die Patienten mit geringer Metastasenlast ergab.

Abb. 2: Überlebenskurven der Patienten mit hoher und geringer Metastasenlast unter Chemo-Hormontherapie oder alleiniger Hormontherapie (Sweeney CJ et al., New Engl J Med 2015; 373: 737)

Eine hohe Metastasenlast wurde dabei wie folgt definiert:

  • jegliche Form der viszeralen Metastasen
  • mehr als 4 Skelettmetastasen von denen mindestens 1 außerhalb des Stammskeletts         gelegen sein musste

Die Chemotherapie wurde im Rahmen der Studie innerhalb der ersten 3 Monate nach Beginn der Androgendeprivation zugesetzt. Im klinischen Alltag kann somit die Hormontherapie zunächst begonnen und das Ansprechen sowie die Verträglichkeit beobachtet werden, bevor die Chemotherapie addiert wird.

In einer weiteren Studie, der STAMPEDE – Studie wurde die identische Fragestellung untersucht. Auch hier zeigte sich für die kombinierte Chemo-Hormontherapie ein erheblicher Überlebensbenefit gegenüber der alleinigen Hormontherapie.

Abb 3: Überlebenskurven der Patienten mit mPCA unter Chemo-Hormontherapie (rot) und unter alleiniger ADT (James ND et al., Lancet 2015)

Knochenprotektive Therapie mit Zoledronsäure oder Demosumab

Beide Substanzen werden in der Therapie des kastrationsresistenten PCA mit Knochenmetastasen eingesetzt, nachdem in entsprechenden prospektiven klinischen Studien dargestellt werden konnte, dass eine signifikante Reduktion von metastasenbedingten Komplikationen am Skelettsystem (Schmerzen, Fraktur, Strahlentherapie, Operation) erreicht werden kann.

Im klinischen Alltag werden beide Substanzen von vielen Therapeuten auch beim hormonnaiven PCA mit Knochenmetastasen unter der Vorstellung eingesetzt, dass auch hier eine Reduktion von Metastasenkomplikationen erzielt werden kann.

In der STAMPEDE Studie wurde diese Fragestellung intensiv untersucht: die Gabe von Zoledronsäure führte zu keiner Reduktion der skeletalen Ereignisse und der symptomatischen skeletalen Ereignisse (p = 0.221, HR = 0.89). Es besteht keine Indikation zum Einsatz knochenprotektiver Medikamente beim hormonnaiven Prostatakarzinom.

Abb XX: kein Nachweis eines Überlebensvorteils für die Kombination ADT, DOC plus Zoledronsäure (links) und ebenfalls kein Nachweis eines Vorteils für die Entwicklung von skeletalen Ereignissen bzw. symptomatischen skeletalen Ereignissen (rechts)

Zytoreduktive radikale Prostatektomie

Bis vor wenigen Jahren galt das Dogma, dass eine lokale Therapie des Primarius mittels radikaler Prostatektomie oder perkutaner Strahlentherapie bei metastasiertem PCA obsolet ist und nicht durchgeführt werden sollte.

Mittlerweile gibt es jedoch Hinweise, dass die lokale Therapie des PCA trotz Metastasierung zu einer Vermeidung nicht nur von lokalen Komplikationen führt, sondern auch das Gesamtüberleben und die Zeit bis zur Entwicklung eines kastrationsresistenten PCA verlängern kann.

Das Therapiekonzept der zytoreduktiven radikalen Prostatektomie wurde durch unsere Arbeitsgruppe weltweit erstmals 2015 in einer vergleichenden Studie zwischen operierten und nichtoperierten Patienten untersucht. Alle Patienten erhielten zunächst eine ADT mit einem LHRH-Analogon über 6 Monate. Kam es zu einem PSA-Abfall < 1.0 ng/ml wurden die Patienten aufgrund der günstigen Prognose der radikalen Prostatektomie zugeführt. Die Behandlungsergebnisse dieser Patienten wurden mit denen der Patienten verglichen, die trotz gutem Ansprechens mit der Standardtherapie der alleinigen ADT therapiert wurden.

Die pathohistologische Aufarbeitung der radikalen Prostatektomiepräparate zeigte bei allen Patienten trotz des günstigen Ansprechens auf die Hormontherapie vitale, metastasierungsfähige Tumorzellklone.

Nach einer Nachbeobachtungszeit von nur 40 Monaten zeigten sich in der operierten Gruppe bereits statistisch signifikante Vorteile bezüglich des Auftretens von lokalen, therapiebedürftigen Komplikationen wie Harnverhaltung, Harnstauungsniere, etc. (0% versus 29%), bezüglich des mittleren tumorspezifischen Überlebens (91.3% versus 78.9%) sowie der Zeit bis zur Entwicklung eines kastrationsresistenten PCA (40 versus 29 Monate).

In einer Fortsetzung unserer Studie unter Einschluss von nunmehr über 120 Patienten konnten diese Ergebnisse eindrücklich bestätigt werden.

Abbildung 4: a) Gesamtüberleben nach zytoreduktiver RPE, b) Rezidivfreiheit im Mittel > 72 Monate

Komplikationen

Die zytoreduktive radikale Prostatektomie ist in erfahrenen Zentren mit einer ähnlichen geringen Komplikationsrate durchzuführen wie die allgemeine radikale Prostatektomie. Die Kontinenzraten liegen mit 90% 3 Monate postoperativ etwas ungünstiger als nach herkömmlicher RP. Eine nervschonende Operation ist aufgrund der meist lokal fortgeschrittenen Tumoren und der begleitenden ADT nicht indiziert bzw. nicht sinnvoll. Zudem konnten wir zeigen, dass die Rate an signifikanten operationsbedingten Komplikationen bei Patienten nach präoperativer Hormontherapie signifikant geringer lag als bei Patienten ohne Begleittherapie.

Die Indikation zur Durchführung der zytoreduktiven radikalen Prostatektomie bedarf einer individualisierten Indikationsstellung und einer Durchführung der Operation in einem erfahrenen Zentrum.